Sage, was du meinst
– und meine, was du sagst

Teil 1: Ein Plädoyer für mehr Authentizität im Elternalltag

Sage, was du meinst - Teil 1

by Sophie Schönwälder | #Elternmantras

#Elternmantras nenne ich kleine Sätze, Zeilen oder Wörter, die ich mir im Elternalltag immer wieder selbst vorsage, und die mir dabei helfen, mit gewissen Situationen oder Emotionen besser zurecht zu kommen. In dieser Serie möchte ich einige davon mit euch teilen – auf dass sie auch euer Elternleben entlasten und bereichern können.

Heute und nächste Woche möchte ich euch ein #Elternmantra vorstellen, das mir nicht nur in Elternangelegenheiten gute Dienste leistet: „Sage, was du meinst – und meine, was du sagst!”. Denn wenn wir uns genau beobachten, passiert es erschreckend oft, dass wir Dinge sagen, die wir eigentlich nicht so meinen und Dinge meinen, die wir gar nicht sagen – aus Unachtsamkeit, aus alter Gewohnheit, aus falsch verstandener Höflichkeit, aus Bequemlichkeit,… Aber es ist meine tiefe Überzeugung, dass die Welt ein besserer Ort wäre, wenn wir uns alle darauf einigen könnten, einander respektvoll und achtsam genau das zu sagen, was wir wirklich meinen – und das, was wir sagen, auch wirklich zu meinen…

Ich habe letzte Woche darüber geschrieben, dass Kinder stabile Erwachsene brauchen, auf deren Worte sie sich verlassen können, dass wir nur dann “Nein” sagen sollen, wenn wir es auch wirklich meinen. Und dabei ist mir aufgefallen, dass es hier eine ganz enge Verbindung zu einem weiteren meiner allerliebsten #Elternmantras gibt: “Sage, was du meinst – und meine, was du sagst”. Denn das gilt nicht nur für das facettenreiche Wörtchen “Nein”, sondern für jedes Wort, das uns über die Lippen kommt – besonders gegenüber unseren Kindern. Leider passiert es aber allzu oft, dass das Gesagte und das Gemeinte, naja, nicht ganz deckungsgleich sind – entweder weil Erwachsene sich das Recht herausnehmen, ihre Kinder bewusst anzulügen (damit werden wir uns nächste Woche näher beschäftigen), oder aber weil uns diese Diskrepanz selbst gar nicht bewusst ist (das schauen wir uns heute genauer an). 

Projektion eigener Empfindungen

Ein Papa steht mit seinem Kind im Freizeitpark vor einer wilden Hochschaubahn. Er ist nicht ganz schwindelfrei und wird schon beim Zuschauen etwas blass um die Nase. Das Kind hingegen bekommt leuchtende Augen und glühende Bäckchen. Da sagt der Papa: “Das ist zu wild! Das ist nichts für dich! Schauen wir weiter! 

Eine Mama mit Kind steht vor derselben Hochschaubahn, mit leuchtenden Augen und glühenden Wangen – und zieht ihr sich sträubendes Kind Richtung Eingang: “Komm schon! Das wird toll! Glaub mir, wenn du erst drin sitzt, wird es dir gefallen! Ich hab davon als Kind gar nicht genug bekommen können! 

Zwei Kinder sitzen in der Sandkiste, die Mütter daneben und plaudern. Plötzlich fröstelt es die eine Mutter. Sie zieht sich eine Jacke an und im selben Atemzug ruft sie auch ihrem Kind zu “Es ist kalt! Du brauchst eine Jacke!”, während die zweite Mutter nicht friert, weshalb ihr Kind unbehelligt in der Sandkiste weiterspielen darf.  

Ein musikbegeistertes und -begabtes Kind hat das Pech, in eine akademisch höchst ehrgeizige, aber dafür unmusikalische Familie geboren zu werden. Als es den Wunsch äußert, seine Leidenschaft zum Beruf zu machen, heißt es “Das ist nichts für dich!”, es wird dem Wunsch seiner Eltern entsprechend  Arzt oder Ärztin. Als es selbst ein Kind bekommt, setzt es alles daran, diesem Kind jene Musikkarriere zu ermöglichen, die seine eigenen Eltern ihm verwehrt haben – und übersieht dabei ganz die Leidenschaft, die dieses Kind wiederum für das Handwerk hegt.

 

Was passiert hier? Wenn wir nicht aufpassen, neigen wir – generell als Menschen aber besonders als Eltern – dazu, von uns auf andere zu schließen. Wir projizieren unsere Empfindungen, Wünsche, Vorlieben auf andere und tun ihnen nur vermeintlich etwas Gutes, indem wir diesen projizierten Empfindungen, Wünschen, Vorlieben, die ja letzten Endes unsere eigenen sind, entgegenkommen.  

Dass das eine Kind liebend gern mit der Hochschaubahn gefahren wäre, während das andere ebenso liebend gern darauf verzichtet hätte, sind die beiden Eltern in diesem Moment gar nicht im Stande zu bemerken, weil sie so in ihren eigenen Empfindungen gefangen sind. Dass es dem Kind in der Sandkiste nicht zu kalt ist, weil es ein anderes Temperaturempfinden hat als seine Mutter, kommt dieser nicht einmal in den Sinn. Dass es völlig willkürlich ist, dass die Frage, ob ein Mensch etwas anziehen muss oder nicht, davon abhängig gemacht wird, ob ein anderer Mensch friert, können die beiden in diesem Moment so nicht wahrnehmen. 

 

Was ich sagen will: Es zahlt sich aus, bei den Kleinigkeiten des Alltags zu üben darauf zu schauen, ob wir tatsächlich über die Empfindungen, Wünsche, Vorlieben unserer Kinder sprechen – oder vielleicht doch über unsere eigenen. Wir können uns zum Beispiel angewöhnen, nicht mehr in Aussagesätzen über unser Kind zu sprechen, wenn es anwesend ist, sondern unsere Sicht immer in Form von Rückfragen mit seiner Innenperspektive abzugleichen. Und gleichzeitig explizit von uns zu sprechen, wenn es um unsere eigene Wahrnehmung oder Einschätzung geht.  

Das hört sich dann zum Beispiel so an: “Brrrr, mir ist ganz kalt. Ich zieh mal meine Jacke an. Wie geht’s dir? Möchtest du auch deine Jacke haben?” oder “Ui, mir wird schon beim Zuschauen ganz flau im Magen. Ich glaub, diese Hochschaubahn wäre doch nichts für mich. Wie geht’s dir damit? Wäre es dir auch zu wild?” oder “Huiiii! An die Hochschaubahn erinnere ich mich noch! Mit der bin ich als Kind schon total gern gefahren! Ich stelle mir vor, dass es dir auch Spaß machen würde. Würdest du es gerne einmal probieren?” oder “Du schaust ziemlich müde aus! Ich habe den Eindruck, das war ein anstrengender Schultag! Mir tut nach einem anstrengenden Arbeitstag ein warmes Bad immer gut. Was könnte dir jetzt gut tun? 

Denn erstens macht es auch bei den Kleinigkeiten einen bedeutenden Unterschied – wir können unsere Kinder entweder in ihrer Selbstkompetenz stärken, indem wir ihnen zeigen, dass wir darauf vertrauen, dass sie selbst wissen, was ihnen gut tut: Wann sie eine Jacke brauchen und wann nicht, ob sie noch etwas essen wollen oder schon satt sind, ob sie mit der Hochschaubahn fahren wollen oder nicht, ob ihnen dies oder jenes angenehm oder unangenehm ist… Oder aber wir können ihre Selbsteinschätzung stetig unterminieren, indem wir sie übergehen, in Frage stellen, ihr widersprechen und ihnen stattdessen unsere Sicht der Dinge umhängen. Damit können wir ziemlich effektiv dafür sorgen, dass sie verlernen, sich selbst in ihren Bedürfnissen, Wünschen und Empfindungen wahrzunehmen und die Antworten auf diese Fragen stets im Außen suchen.  

Und zweitens können wir so auch für die großen Entscheidungen üben: Wenn es dann zum Beispiel darum geht, in welche Schule unsere Kinder gehen, für welchen Berufsweg sie sich entscheiden, ist es von essentieller Wichtigkeit, dass wir gelernt haben, zwischen unseren eigenen Empfindungen, Wahrnehmungen, Wünschen und denen unserer Kinder zu unterscheiden – und ihre Wege in jene Richtungen zu lenken, die ihnen entgegenkommen und nicht uns. 

 

Sekundäre Emotionen

Ein Kind rennt auf die Straße zu, ohne erkennbare Absicht stehen zu bleiben und ohne auf die Rufe der Mutter zu hören. Als sie es knapp vor der Straße endlich eingeholt hat, ist sie erfüllt von einer unbändigen Wut. Sie weiß, dass sie so etwas eigentlich nicht sagen will, aber die Worte sprudeln aus ihrem Mund: Sie stellt ihr Kind zur Rede, macht ihm Vorwürfe, macht es so richtig zur Schnecke, ihre Stimme ist harsch und laut. 

Ein Teenager kommt eine Stunde nach der verabredeten Zeit leicht angetrunken bei der Wohnungstür herein und der Vater entlädt all den Ärger, der sich in dieser Stunde in ihm aufgestaut hat, in einem einzigen, wütenden Wortschwall, der sich wie ein Wasserfall über das Kind ergießt, das dabei kaum zu Wort kommt.

Ein Kind stürzt beim Klettern ab, stolpert beim wilden Toben, schneidet sich beim Schnitzen in die Hand. Für einen Moment bleibt den Eltern das Herz stehen, doch sobald klar ist, dass dem Kind keine unmittelbare Lebensgefahr droht, wird der erste Schreck von unbändigem Ärger abgelöst: Sie brüllen abwechselnd das Kind und einander an, wie das gerade nur passieren konnte und dass sie es ja gleich gesagt hätten, dass das eine ganz schlechte Idee gewesen wäre, aber das käme halt davon, wenn man nicht hören wolle, und so weiter, und so fort. 

Was ist hier passiert? Warum empfinden die Eltern in diesen Situationen diesen unglaublich intensiven Ärger? Und warum fangen die Kinder mit diesem Ärger nichts an, ja fühlen sich ihrerseits unverstanden und reagieren bockig? Was ist es, was die Eltern eigentlich sagen wollen? Und wie können sie es beim nächsten Mal schaffen, das auszudrücken, was sie wirklich meinen?

Das Zauberwort, das uns dabei hilft, diese komplexen Situationen zu entschlüsseln und all diese Fragen zu beantworten, lautet “Sekundäremotion”. Klingt komplizierter, als es ist: Wir wissen alle, was Emotionen sind: Die Gefühle, mit denen wir auf das reagieren, was uns widerfährt, umgibt und sich in unserer Innenwelt tut. So weit, so klar. Manchmal kommen aber Emotionen in uns hoch, die wir nicht zulassen können – vielleicht weil sie negativ besetzt sind, weil wir gelernt haben, dass wir sie nicht fühlen sollten oder gar dürfen, weil wir erfahren haben, dass wir dafür gerügt wurden, so zu fühlen – vielleicht weil sie uns verwundbar machen und wir gelernt haben, dass es gefährlich ist, verwundbar zu sein – vielleicht, weil sie so mächtig sind, dass sie drohen uns zu überwältigen. Dann reagieren wir auf diese Gefühle (Primäre Emotionen) mit einem anderen Gefühl (Sekundäre Emotion). Die sekundäre Emotion überdeckt dabei die primäre Emotion. Unser Umfeld kann somit nur unsere sekundäre Emotion wahrnehmen, die von außen betrachtet aber oft ziemlich wenig Sinn ergibt, unangebracht wirkt, und vor allem die Kommunikation ziemlich erschwert. Eine der häufigsten sekundären Emotionen ist übrigens der Ärger.

Zurück zu unseren Beispielen: Die Mutter im ersten Beispiel hat riesige Angst empfunden – für einen kurzen Moment glaubte sie ihr Kind in Lebensgefahr! Wahrscheinlich plagten sie auch noch Schuldgefühle – immerhin war doch sie es, die zunächst einfach zugelassen hatte, dass ihr Kind losläuft, und die es dann scheinbar nicht stoppen konnte. Das sind Gefühle einer Intensität, die einen schon umhauen können! In der Schimpftirade, die sich über ihr Kind ergießt, wirkt der Ärger wie ein Deflektorschild, an dem all diese intensiven Emotionen abprallen, um die Mutter zu schützen. Dummerweise bekommt das Kind sie allerdings mit voller Wucht um die Ohren. Im dritten Beispiel können wir denselben Effekt in leicht abgewandelter Form beobachten: Da die Eltern hier zu zweit sind, bekommt das Kind wenigstens nicht  die volle Ladung ab, weil die Eltern in den gegenseitigen Schuldzuweisungen ihre Sekundäremotionen auch aneinander auslassen können. So richtig angenehm, gesund oder zielführend ist das allerdings auch nicht. 

Die Kinder sind von den Ärgerausbrüchen ihrer Eltern mit hoher Wahrscheinlichkeit ziemlich überrumpelt. Sie kennen sich nicht aus, was da gerade passiert und warum die Eltern so reagieren. Die Einsicht oder ehrliche Entschuldigung, die die Eltern zumindest in den Beispielen eins und zwei von ihren Kindern erwarten bzw. mit ihrem Ausbruch erreichen zu müssen meinen, bleibt somit verständlicherweise auch aus. Im ersten Beispiel ist das Kind wahrscheinlich verwirrt – es wollte doch ohnehin bei der Straße stehen bleiben, das hat es auch getan, es hat alles richtig gemacht, und trotzdem schreit Mama es an. 

Auch beim Teenager im zweiten Beispiel wissen wir nicht, was zur Verspätung geführt hat – der Vater hat seinem Kind ja keine Chance gelassen, sein Zu-spät-Kommen zu erklären. Vielleicht gab es ein Problem mit dem Bus, vielleicht musste der noch betrunkenere Freund nach Hause gebracht werden oder es gab eine jener Freundschafts- oder Beziehungskrisen, die von uns Erwachsenen so gerne belächelt werden, weil wir schon vergessen haben, wie existenziell sie sich anfühlen. Oder vielleicht hat es auch einfach die Zeit übersehen, weil Teenager zwar keine ganz so zeitlosen Geschöpfe sind wie Kleinkinder, aber eben trotzdem noch nicht ganz ausgebacken. All das kann sein, und all das darf auch sein. In jedem Fall wird unser Pubertier empfinden, dass es diese Standpauke nicht verdient hat, sich je nach Temperament in die innere Emigration zurückziehen oder die Einladung zum Schreiduell annehmen. Am Ende werden beide auseinander gehen, ohne einander wirklich gehört zu haben. 

Das Kind im dritten Beispiel schließlich wird einfach vollends verwirrt sind: Da sitzt es mit seinem Schmerz und dem Schreck obendrauf und statt dass es aufgefangen und getröstet wird, brüllen alle nur herum. Da brüllt es wahrscheinlich gleich einmal heftig mit – und es lernt, dass es, wenn jemand sich weh getan hat, wichtiger ist eine*n Schuldige*n zu finden als Trost zu spenden…

 

Wie aber hätten die Eltern ihre Primäremotionen erkennen, anerkennen und ausdrücken können, bevor sie gemeinsam mit ihren Kindern vom Ärgertsunami überrollt werden? Schritt eins: Wissen, dass es so etwas wie sekundäre Emotionen gibt und dass Ärger so gut wie immer eine andere, primäre Emotion zudeckt. Schritt zwei: Wenn wir spüren, wie der Ärger in uns hochkocht, es schaffen, einen Moment inne zu halten (Atmen!) und nachzuspüren, was wir in der Millisekunde, bevor der Ärger hochgekocht ist, gespürt haben – da zeigen sich nämlich die Primäremotionen oft für einen klitzekleinen Moment ziemlich deutlich. Schritt drei: Mut zur Verwundbarkeit, Mut zur Authentizität, und genau das aussprechen – dann verpufft auch der Ärger, weil wir ihn nicht mehr brauchen. 

In allen drei Beispielen könnten die Eltern also zum Beispiel ihre Kinder umarmen und so etwas sagen wie “Oh weh! Mir sitzt der Schreck noch in allen Knochen! Ich hatte solche Angst um dich! Ich bin so unglaublich froh, dass dir nichts passiert ist!” 

Im ersten Beispiel wird das Kind zwar vielleicht immer noch verwirrt sein, weil es ja nie wirklich in Gefahr war, aber es wird besser verstehen, was passiert ist: Oh, Mama hatte Angst um mich! Dann können wir in Ruhe besprechen, wie wir das in Zukunft machen können, damit Mama keine Angst mehr hat. 

Im zweiten Beispiel wird das Pubertier sich nicht veranlasst sehen, seinen eigenen Deflektorschild auszupacken, sondern es bekommt eine authentische Rückmeldung über die natürlichen Folgen seines Handelns – nämlich nicht eine Woche Hausarrest oder Fernsehverbot, sondern einfach Angst und Sorge bei seinen Eltern – und es wird, wenn die Beziehung gut und intakt ist, sich das nächste Mal an diese intensiven, authentischen Emotionen erinnern und eine kurze Nachricht nach Hause schicken, dass und warum es sich verspätet. (Ich will hier noch einmal betonen, dass es hier um das Zeigen und Teilen authentischer Emotionen geht, nicht um bewusste emotionale Erpressung, um ein bestimmtes Verhalten zu erreichen oder zu unterbinden… Das ist mir sehr wichtig.)

Im dritten Beispiel schließlich können die Eltern sich, nachdem sie ihren eigenen primären Emotionen Raum gegeben haben, der Aufgabe zuwenden, das Kind dabei zu unterstützen, das Geschehene zu verstehen, einzuordnen, zu verarbeiten, seine Emotionen aufzufangen und Trost zu spenden. 

Und noch etwas: Wir sind alle Menschen! Diese Dinge sitzen uns häufig aus unserer eigenen Prägung heraus ganz tief in den Knochen und wir können nicht von uns erwarten, dass der sekundäremotionale Ärger von nun an nie mehr aus uns herausbrechen wird oder dass wir heute auf morgen nie wieder im Schreck erst einmal brüllen werden! Es geht um den Prozess! Jedes Mal, wo wir merken, dass wir es NICHT getan haben, wo wir den Ärger aufsteigen gespürt und dann anders gehandelt haben, können wir uns in Gedanken ein kleines Goldsternchen anheften. Und wenn es doch einmal passiert, dann erinnern wir uns daran, dass alles ein Lernprozess ist. Wir tun unser bestes, möglichst schnell wieder runterzukommen und dann gibt es zwei ganz wichtige Dinge, die wir noch immer sehr richtig machen können: Erstens können wir uns aufrichtig bei unserem Kind entschuldigen, ihm unsere Emotionen erklären und schauen, was es jetzt von uns braucht. Und zweitens können wir – ohne uns Selbstvorwürfe oder Schuldgefühle zu machen – die Situation für uns selbst noch einmal reflektieren und uns fragen “Was ist hier gerade passiert?” und “Was kann ich nächstes Mal anders machen?”.

Höflichkeitsfloskeln vs. klare Ansagen

Ein ganz kleiner Punkt noch zum Abschluss, weniger gewichtig und im Alltag doch so oft ein Stolperstein: Wir haben alle im Lauf des Erwachsenwerdens gelernt, dass es oft als unhöflich angesehen wird, wenn wir zu direkt sagen, was wir wollen. Wir verpacken also zum Beispiel vieles in nur scheinbar unverbindliche Fragen und sagen damit etwas anderes, als wir meinen. 

Wenn ich mit meinen erwachsenen Freunden auf einer Party bin und frage “Gehen wir dann langsam?“, werden diese sich wahrscheinlich nicht besonders schwer tun, meine Botschaft zu entschlüsseln: Ich frage “Gehen wir dann langsam?“, aber ich meine “Ich möchte bald gehen!“. Wenn ich mit meinem Kìnd auf dem Spielplatz bin und aus derselben Motivation heraus dieselbe Frage stelle, verfügt es noch nicht über die notwendige Lebenserfahrung, die es ihm erlauben würde, die Botschaft erfolgreich zu entschlüsseln – ja, es kommt nicht einmal auf die Idee, dass es da eine Botschaft zu entschlüsseln gäbe. Es hört nur die simple Frage “Gehen wir dann langsam?” – eine Entscheidungsfrage, die ich an es richte und ihm damit die Entscheidung überlasse. Wenn es dann auf diese Frage mit “Nein” antwortet und wieder spielen gehen will, bin ich in einer Sackgasse gelandet… 

Wenn wir hingegen mit und von unseren Kindern lernen, unsere Wünsche und Anliegen wieder klar und direkt an- und auszusprechen, und Fragen dieser Art nur dann zu stellen, wenn wir wirklich an der Antwort unseres Kindes interessiert sind, wissen alle, woran sie sind und wir machen uns und unseren Kindern das Leben ein großes Stück leichter…

 

In diesem Sinne: Habt Mut zu Authentizität, Klarheit und Verwundbarkeit! Und schaut doch nächste Woche wieder vorbei, zu “Sage, was du meinst – und meine, was du sagst. Teil 2: Ein Plädoyer für mehr Ehrlichkeit im Elternalltag”!

***Herzlichen Dank für die Illustration an Orsolya Fodor (@tamatea16 auf Instagram)***