Es ist ein Lernprozess!

Teil 2: Eine Runde liebevolle Anerkennung für unsere Lernprozesse als Eltern, bitte!

Es ist ein Lernprozess! - Teil 2

by Sophie Schönwälder | #Elternmantras

#Elternmantras nenne ich kleine Sätze, Zeilen oder Wörter, die ich mir im Elternalltag immer wieder selbst vorsage, und die mir dabei helfen, mit gewissen Situationen oder Emotionen besser zurecht zu kommen. In dieser Serie möchte ich einige davon mit euch teilen – auf dass sie auch euer Elternleben entlasten und bereichern können.

Letzte Woche habe ich euch ein #Elternmantra vorgestellt, das mich auf Schritt und Tritt begleitet: „Es ist ein Lernprozess!” oder, wenn euch das besser gefällt: “Wir sind alle Lernende!”. Letzte Woche lag unser Fokus ganz bei unseren Kindern und dem Blick, mit dem wir auf ihr Verhalten und schauen, vor allem dann, wenn es nicht unseren Vorstellungen entspricht. Heute und nächste Woche wollen wir diesen liebevollen, anerkennenden Blick beibehalten, aber – vielleicht ganz ungewohnter Weise – auf uns selbst als Eltern richten.

Wir machen das das erste Mal! Seien wir nett zu uns selbst

Stellt euch vor, ihr seid neu in einem Job – neue Firma, neues Aufgabengebiet, neue Kolleg*innenschaft, alles neu. Gebt ihr euch Zeit, mit der Situation vertraut zu werden? Fragt ihr nach, wenn ihr etwas noch nicht so genau wisst? Oder stellt ihr an euch selbst den Anspruch, dass ihr von Tag 1 an alles voll im Blick habt: Ihr wisst, was wo zu finden ist, verlauft euch kein einziges Mal, weil ihr vergessen habt, dass die linke Tür ins Büro der Chefin führt und die rechte zum Klo und nicht umgekehrt. Ihr überblickt euren Aufgabenbereich, kennt alle Prozesse und Abläufe mit traumwandlerischer Sicherheit, erfüllt eure Tasks mit 0% Fehlerquote und die eurer Kollegin gleich mit und seht auch noch blendend aus dabei?

Klingt unrealistisch? Find ich auch! Trotzdem gehen nicht wenige von uns mit dieser Erwartungshaltung, mit diesen  überhöhten Ansprüchen an uns selbst an den wohl wichtigsten Job in unserem Leben heran: An unsere Elternschaft. Und wenn wir realisieren, dass die Rechnung nicht aufgeht, dass wir ständig im Büro der Chefin stehen, wenn wir eigentlich aufs Klo wollen, dass wir keinen Überblick haben, was unser Aufgabenbereich eigentlich alles umfasst, dass die Regeln und Abläufe sich jedes Mal ändern, wenn wir glauben, wir hätten sie endlich verstanden,… dann überdenken wir nicht etwa unsere Ansprüche und Vorstellungen. Nein, wir ergehen uns in Selbstzweifel und Selbstkritik. Schließlich sollten wir das doch besser können und unsere Kinder haben sowieso nur das Beste verdient… Also, vielleicht bin ich ja auch die einzige Mutter auf der Welt, die in diese Perfektionismusfalle getappt ist, aber ich hab so ein Gefühl, dass ich da in ganz guter Gesellschaft bin… 

Falls ihr jetzt erwidern wollt, dass der Vergleich ja stimmen mag, wenn man/frau/mensch zum ersten Mal ganz frisch Eltern geworden ist. Aber eure Kinder sind ja jetzt doch schon ein paar Jahre alt, so langsam wisst ihr doch, wie der Hase läuft, und trotzdem schafft ihr es noch nicht, in jeder Situation genau richtig zu reagieren. Dann biete ich euch ein Zusatzbild an: Vielleicht arbeitet ihr in unserer Metapher ja schon ein Weilchen in unserer imaginären Firma, die eine oder andere Kollegin ist euch mit ihren Qualitäten und Besonderheiten schon sehr vertraut. Aber dadurch, dass unsere Kinder sich in so einem rasanten Tempo entwickeln, ist es, als würden wir alle paar Monate in eine neue Abteilung versetzt bzw. mit einem neuen Aufgabenbereich betraut. 

Unsere Tasks und Verantwortungen schauen komplett anders aus, ob wir uns um ein Baby, ein Kleinkind, ein Kindergarten- oder Schulkind oder einen Teenager kümmern – und wenn wir mehr als ein Kind haben, verkompliziert sich das Spiel noch einmal, weil wir unseren unterschiedlichen Kindern je nach aktueller Entwicklungsphase und Persönlichkeit unter Umständen sehr verschiedene, ja vielleicht sogar gegensätzliche Dinge geben müssen… und das alles zum ersten Mal. Denn obwohl ich zu Beispiel jetzt seit gut 6,5 Jahren Mutter bin, bin ich gerade zum allerersten Mal Mutter eines Schulkindes – und wenn meine kleine Tochter in zwei Jahren in die Schule kommt, wird vieles einfacher sein, und doch werde ich mir selbst sagen dürfen “Du machst das zum ersten Mal! Sei geduldig mit dir selbst!” Denn ich werde zum ersten Mal dieses Kind bei diesem wichtigen Übergang begleiten, ich werde zum ersten Mal Mama von zwei Schulkindern sein, und so weiter. 

Geben wir uns also bitte mit bestem Gewissen dieselbe liebevolle Anerkennung, die wir auch unseren Kindern zuteil werden lassen, wenn wir uns daran erinnern, dass sie all das, was wir für selbstverständlich nehmen, erst mühsam erlernen müssen, dass sie die Welt, die wir selbst bereits blind navigieren können, gerade erst beginnen zu begreifen. Schauen wir auf uns selbst mit demselben liebevollen Blick, wenn wir uns daran erinnern, dass wir als Eltern quasi auch noch ganz am Anfang stehen und diese ganz neue Welt mit unseren Kindern gemeinsam erforschen und erfahren und zu navigieren lernen dürfen. 

 

Der fehlende Clan

Wenn wir unseren Kindern auch nur ansatzweise die Eltern sind, die wir ihnen sein wollen, dann sind wir ihnen – auch mit unserer nur allzu menschlichen Imperfektion! – bei all ihren Lern- und Entwicklungsprozessen eine wichtige und wertvolle Ressource: Wir begleiten sie liebevoll durch die verschiedenen Phasen, fangen ihre Enttäuschung und Wut auf, wenn etwas mal wieder nicht so funktioniert hat wie geplant, nähren ihren Mut und strahlen die unerschütterliche Zuversicht aus, dass es irgendwann genau so funktionieren wird – und wenn alle Stricke reißen, übernehmen einfach wir einmal das Schuhe Anziehen, unterstützen bei der Schlichtung des Sandkistenkonflikts und tragen unser von der Müdigkeit unversehens überwältigtes Kind nach Hause in sein Bettchen. 

Wäre es nicht wunderbar, wenn wir in unseren Lern- und Entwicklungsprozessen als Eltern ein ähnlich unterstützendes Sicherheitsnetz im Hintergrund hätten? Menschen, die uns liebevoll, unvoreingenommen und ohne zu urteilen durch Höhen und Tiefen begleiten, unsere Emotionen auffangen und mit uns gemeinsam (aus-)halten, uns ermutigen und an uns glauben, wenn es uns selbst gerade schwer fällt, uns an ihren Erfahrungen und ihrem Wissen teilhaben lassen, und zur Not auch einfach mal für uns einspringen, wenn unsere Kinder etwas brauchen, das wir ihnen gerade aus welchem Grund auch immer nicht geben können. 

Naja, eigentlich wäre das ja auch so vorgesehen. Eigentlich sind wir Menschen ja nicht dafür gemacht, als isolierte Kernfamilien in kleinen, abgekapselten Miniaturbiotopen nebeneinander her zu leben und uns dabei noch Sorgen zu machen, dass die Nachbarn sich über uns das Maul zerreißen oder die Instagram-Follower einen Hauch zu viel Authentizität mitbekommen, wenn man im perfekt inszenierten Good-Morning-Selfie – #outofbed, #nomakeup – die Wäscheberge und das Abendessensgeschirr vom Vortag im Hintergrund sieht. Nein, eigentlich sind wir Menschen dafür gemacht, in gerade überschaubar großen Gruppen in engen Verbänden zusammen zu leben und unsere Ressourcen zum allgemeinen Nutzen zu bündeln. 

Dieser Clan, in dem wir genau den Rückhalt finden, den wir als Eltern kleiner Kinder so bitter nötig hätten, ist uns jedoch im Laufe der Zeit abhanden gekommen. Die großfamiliären Strukturen sind zerfallen oder als Ressource zumindest in mancherlei Hinsicht unbrauchbar geworden, weil sich die Werte der Generationen nicht mehr decken – mehr dazu nächste Woche! Wenn unsere Eltern und Schwiegereltern ohnehin schon der Meinung sind, dass wir unseren Nachwuchs mit dieser ganzen albernen Bedürfnisorientierung total verwöhnen und verziehen und die Kinder einfach nur eine starke Hand bräuchten, die ihnen zeigt, wo’s lang geht, dann können wir einfach nicht auf ihren Rückhalt zählen, wenn wir mit uns selber hadern, weil uns im Zorn und in der Hilflosigkeit mal wieder einer dieser Sätze rausgerutscht ist, die wir uns geschworen hatten nie zu sagen… 

Wir haben also als Eltern – weil wir noch nicht genug auf unserer Agenda haben – auch noch die Aufgabe, uns unseren Clan selbst zu schaffen. Das hat gegenüber den traditionellen Clanstrukturen den unschlagbaren Vorteil, dass wir uns auch wirklich selbst aussuchen dürfen, wer in unserem Clan mitspielen darf und wer nicht. Und es hat den entscheidenden Nachteil, dass wir in das Spinnen dieses Netzwerks manchmal Energie investieren müssen, wenn wir sie eigentlich nicht haben. Aber manchmal müssen wir auch nur offen sein und mit Freude annehmen, was uns das Leben so schickt. Und wenn dann zum Beispiel diese unglaublich nette Familie in unser Haus einzieht, lassen wir sie einfach unser Leben, und zwar nicht nur in den Instagram-fähigen Teil, sondern auch dorthin, wo es messy und chaotisch wird. Und schwippdiwupp haben wir ein kleines bisschen Clan-Feeling in unserer großen, anonymen Welt. 

Suchen und nähren wir die Beziehungen, die uns die Unterstützung geben können, die wir uns wünschen: Die Freundin, die im Herzen weiß, was für wunderbare Eltern wir sind, auch wenn wir selbst es gerade nicht sehen können, und die wir jederzeit anrufen können, damit sie uns daran erinnert. Die (Seelen-)Schwester, die uns helfen kann, jede Situation in einem anderen Licht zu betrachten und die es irgendwie schafft, dass wir uns nach Gesprächen mit ihr immer besser fühlen als zuvor. Die Checkerin in unserem Bekanntenkreis, die auf jede praktische Frage eine vernünftige und umsetzbare Antwort hat und uns gerne nicht nur mit Rat sondern auch mit Tat zur Seite steht. Die Tante mit den erwachsenen Kindern, die so schnell nichts erschüttern kann, der man die haarsträubendsten Dinge erzählen kann und sie wird erst einmal verständnisvoll nicken und so etwas sagen wie “Hmmm, das kenn ich!

Und wenn ihr jetzt beim Lesen denkt “Das wäre ja wundervoll, wenn ich all diese Leute in meinem Umfeld hätte! Aber sie sind einfach nicht da. Und ich habe jetzt echt nicht die Ressourcen, mich auf die Suche nach ihnen zu machen!”, dann möchte ich euch zwei Dinge ans Herz legen: 

Erstens, manchmal ist euer Dorf größer, als ihr denkt! Da ist zum Beispiel diese eine Mama von der Kindergartenfreundin eures Sohnes, mit der ihr beim Abholen immer so nett plaudert, aber die ihr nie um einen Gefallen bitten würdet. Sie ist wirklich sehr nett und würde sich total freuen, wenn ihr näher in Kontakt kommen würdet, aber sie traut sich genauso wenig auf euch zuzugehen wie umgekehrt. Und ob sie euren Sohn einmal nach dem Kindergarten mitnehmen würde, damit ihr einen freien Nachmittag habt, ohne dafür extra die Babysitterin zahlen zu müssen? Na, und ob! Es wäre ihr sogar ein Vergnügen! Oder die Nachbarin, aus deren Küchenfenster es immer so herrlich duftet. Na klar wäre sie offen dafür, am Wochenende einen Tag für euch mitzukochen und am anderen Tag dafür kochfrei zu haben. Du müsstest nur einmal den Mut aufbringen, das anzuregen!

Zweitens: Es ist eine Krücke in einer per se unzulänglichen Gesellschaft und idealer Weise bräuchte es das nicht, weil eh alle in ihrem Clan so gut aufgehoben und umsorgt sind, aber weil wir eben in der imperfekten und nicht in der perfekten Version der Geschichte leben, ist es gut, dass es sie gibt: Die professionelle Unterstützung. Und eben deshalb ist es auch keine Schande, sie zu nützen und anzunehmen. Ich habe das Gefühl, da ist noch immer ein Stigma, das heißt so ungefähr “Wenn ich mir Unterstützung suche, heißt das, ich bin nicht gut genug, weil ich es nicht alleine schaffe.” Dabei wäre es doch nie vorgesehen gewesen, dass wir es alleine schaffen. Wenn also irgendjemand oder irgendetwas nicht gut genug ist, dann bist das ganz bestimmt nicht du, sondern die Welt und die Gesellschaft, in der wir leben! Nimm sie also an, mit offenem Herzen und Dankbarkeit und ganz ohne schlechtes Gewissen oder Schuldgefühl: Gönn dir regelmäßige Gespräche mit deiner lieben Elternmentorin, in denen du ohne Filter alles rauslassen darfst, was dir am Elternsein gerade Kopfzerbrechen oder Magenschmerzen macht, und dann konkrete Lösungen und Handlungsansätze entwerfen kannst. Gönn dir die Doula, die dich als unerschütterliche beste Freundin auf Zeit, als Fels in der Brandung (nur weicher) durch die stürmischen Zeiten rund um Schwangerschaft und Geburt begleitet. [Ende der Werbeeinschaltung in eigener Sache] Gönn dir die Saubermachfee, die dein Zuhause einmal in der Woche in einen Zustand verzaubert, der dir beim Heimkommen ein wohliges Lächeln aufs Gesicht zaubert. Gönn dir den Lieferservice vom Lieblingsrestaurant und alles, was dir sonst noch hilft, dich wohlig umsorgt zu fühlen und dich zu entlasten, bis wir eines Tages vielleicht wieder an einem Punkt angelangt sind, an dem dieses Gefühl keine utopische Wunschvorstellung ist sondern ein ganz selbstverständliches Lebensgefühl… Und verlang bitte nicht mehr von dir selbst, das alles alleine zu stemmen und dabei auch noch keine Fehler zu machen!

Wenn du möchtest, nimm das als Aufgabe für die kommende Woche mit: Jedes Mal, wenn du mit dir selbst zu streng bist, zu hart ins Gericht gehst, deine innere Stimme dir gegenüber einen Ton anschlägt, den du dir sonst niemandem gegenüber erlauben würdest, schau mit demselben liebevollen, wertschätzenden, zuversichtlichen Blick auf dich selbst und deine Entwicklungs- und Lernprozesse, mit dem du auch auf dein Kind schauen möchtest. Und beobachte, was sich dadurch verändert. Weil es so ein wichtiges Thema ist, bleiben wir nächste Woche noch bei den Lernprozessen und schauen uns spezifisch an, wie Umlernprozesse uns als bewusste Eltern so beschäftigen und herausfordern.

***Herzlichen Dank für die Illustration an Orsolya Fodor (@tamatea16 auf Instagram)***

 

Sharing is caring 😉
Hier kannst du diesen Artikel ganz bequem teilen und weiterleiten!